Die Macht des Einzelnen

Was für ein grauer Tag. Schon der Blick aus dem Fenster lässt mich frösteln. Will ich da wirklich raus in Kälte, Wind und Nieselregen? Die gemütlichere Option ist mein warmes Zuhause, meine Familie und mein heißer Tee, den ich stehen lassen müsste, um die verabredete S-Bahn zu nehmen. Kurzerhand entscheide ich mich dann doch für mehrere Lagen dicker Klamotten und mache mich auf den Weg.

Schon als ich am Hauptbahnhof aussteige und die bunten Menschenmassen sehe, bin ich froh, so entschieden zu haben. Für eine Neuausrichtung der Agrarpolitik haben sich rund 23.000 Demonstranten versammelt, die aus allen Teilen Deutschlands und aus dem Ausland gekommen sind. Der Demonstrationszug, der sich Richtung Regierungsviertel in Bewegung setzt, sprüht vor Kreativität und positiver Energie. Wo ich auch hinschaue wird skandiert, getrommelt, gesungen oder getanzt. Ich selbst gehöre zur Ausnahme – ohne Banner, ohne Plakat, ohne kreative Aufmachung. Ich habe nur meine Kamera, um alles einzufangen.

Man spürt, dass die Vision dieser Demonstration den Zeitgeist getroffen hat. Alt und jung, konservativ und avantgardistisch – sie alle wissen, es ist keine „schön wär’s, geht aber nicht“-Vision. Im Gegenteil! Die Vision, für die diese Menschen auf die Straße gehen, ist realistisch und umsetzbar. Selbst die WHO ist der Ansicht, dass eine ökologische, eine bäuerliche Landwirtschaft die ganze Welt ernähren und unsere Umwelt erhalten kann. Das macht Mut und gute Laune – auch bei diesem lausigen Wetter. Als ich mich nach zwei Stunden durchgefroren auf dem Heimweg mache, ist mir zumindest warm ums Herz.

Es sind zwei heilsame Stunden angesichts der meckernden Unzufriedenheit, mit der wir oft durch einen grauen Alltag streifen. Sich FÜR etwas einzusetzen, mag zuweilen ungemütlich sein, aber es bringt Farbe und Bewegung ins Leben. Luxussorgen und Freizeitstress kann man auch mal für zwei Stunden zur Seite schieben und sich stattdessen einer Sache widmen, die unsere aller Zukunft betrifft.

Es gibt viele Dinge, für die es sich lohnt auf die Straße zu gehen. An diesem besagten Samstag vor zwei Wochen hatte man schon fast die Qual der Wahl, denn die Menschen in Berlin demonstrierten auch gegen Fluglärm, gegen das Assad-Regime und gegen die Fashion-Week. Vier Demos an einem Tag! Da ist Mitmachen leicht gemacht.

„Wir sind das Volk“ – mit dieser Parole sind meine Eltern und viele andere Menschen 1989 auf die Straße gegangen und haben dafür gesorgt, dass die Berliner Mauer fällt. Wir sind noch immer das Volk und wir haben die Freiheit, für Dinge auf die Straße zu gehen, die uns am Herzen liegen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und eine wunderbare Chance! Wenn sich Viele entscheiden etwas voranzutreiben, dann ist auch heute die Macht des Einzelnen viel wert!

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